Sprachenvielfalt: Fluch oder Segen?

2008 ist das Jahr der Sprachen. Wusste ich auch nicht, bis ich die Tage im Radio einen entsprechenden Bericht hörte. Sprachwissenschaftler prognostizierten darin die Sprachlandachaft im Jahr 2025 und beklagten, dass bis dahin mehr als die Hälfte der heute gesprochenen Sprachen ausgestorben sein würden.

„Beklagten“ – bei diesem Wort horchte ich auf. Natürlich bin ich als Journalist dankbar für die sprachliche Vielfalt, für die mannigfaltigen Möglichkeiten, sich mit Worten auszudrücken.

Andererseits: Ist genau diese Unterschiedlichkeit nicht Grund und Ursache vieler Missverständnisse, Konflikte, ja Kriege? Wäre die Welt nicht bedeutend friedvoller, wenn alle dieselbe Sprache sprechen würden?

Und ist biblisch-theologisch gesehen die Sprachenvielfalt nicht sogar eine ausdrückliche Strafe Gottes, eine Maßnahme, um die Macht der gefallenen Menschheit einzudämmen? Die Bibel berichtet von dieser Urahnung, was eine Menschheit mit einer einzigen gemeinsamen Sprache zu leisten vermag. Beziehungsweise von der Angst vor den Konsequenzen einer Menschheit, die sich in alle Winde zerstreut:

1 Damals sprachen alle Menschen auf der ganzen Welt die gleiche Sprache. 2 Als die Menschen nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Land Babel. Dort ließen sie sich nieder 3 und sagten zueinander: »Lasst uns Ziegel formen und sie brennen! Die Ziegel verwendeten sie als Mauersteine und den Asphalt als Mörtel. 4 »Auf«, sagten sie, »wir wollen eine Stadt errichten mit einem Turm, der bis in den Himmel reicht, ein Denkmal unserer Erhabenheit! Es wird verhindern, dass wir uns über die ganze Welt zerstreuen.« 5 Der Herr aber kam aus dem Himmel herab, um sich die Stadt und den Turm anzusehen, den sie erbauten. 6 »Sieh, was sie begonnen haben zu bauen. Weil sie dieselbe Sprache sprechen und ein Volk sind, wird ihnen nichts unmöglich sein, was sie sich vornehmen! 7 Kommt, wir steigen hinab und geben ihnen verschiedene Sprachen. Dann werden sie sich nicht mehr verständigen können.« 8 Auf diese Weise zerstreute der Herr die Menschen über die ganze Erde und sie konnten den Bau der Stadt nicht beenden. 9 Deshalb wurde die Stadt Babel genannt, weil der Herr dort die Sprache der Menschen verwirrte und sie so über die ganze Erde zerstreute.

1. Mose 11, 1-9, Übersetzung: Neues Leben Bibel

(In Klammern: Man beachte den herrlichen Humor in diesem Text. Die Menschen wollen einen Turm bauen, der bis zum Himmel reicht. Gott muss aber von Himmel herabkommen, um sich den Turm anzusehen :-D)

Im Moment gibt 6.500 unterschiedliche Sprachen auf der Erde, gesprochen von 6,7 Mrd. Menschen in 193 Staaten. Die Wycliff-Bibelübersetzer haben die Bibel oder Teile davon in 700 Sprachen übersetzt. In der Relation nicht viel, obwohl natürlich die meisten Sprecher von Microdialekten auch andere, größere Sprachen beherrschen.

Aber es ist eine Heidenarbeit für Christen, die Bibel in all diese Sprachen zu übersetzen, um die Menschen mit der guten Nachricht von Jesus zu erreichen. Wäre da nicht zu wünschen, dass möglichst viele Dialekte verschwinden und so die Möglichkeiten potentiert werden, Menschen das Evangelium zugänglich zu machen? Wäre es nicht am besten, alle Menschen sprächen eine gemeinsame Sprache? Der Gedanke liegt nahe.

Auf der anderen Seite: Die Vielfalt der Sprache(n) ist ein wertvolles kulturelles Erbe. Mit Sprache lässt sich so viel ausdrücken und in den unterschiedlichen Sprachen sind auch viele Urerfahrungen der unterschiedlichen Völker verankert, Dinge, die das Denken und Handeln dieser Menschen zutiefst bestimmt.

Wer Menschen verstehen will, muss erst ihre Sprache verstehen. Aber nicht nur, um mit ihnen zu kommunizieren, sondern vor allem, um den Hintergrund ihrer Denk- und Handlungsweisen, um ihre Kultur zu begreifen.

Auch Bibelübersetzung bedeutet nicht nur stereotype Transformation der Worte von einer Sprache in die andere. Die Hauptarbeit ist das Entdecken der fremden Kultur und die Adaption auf die Lebenswelten der Menschen.

Viele Bibelverse scheinen leicht übersetzbar, weil sie Dinge erwähnen, die jeder kennt, wie zum Beispiel Schlangen und Fische. Aber ein vorsichtiger Übersetzer ist auf der Hut und prüft jeden Vers, ob er auch richtig verstanden wird.

Als das Lukas-Evangelium in der Sprache der Barasano in Kolumbien fast fertig übersetzt war, prüften die Übersetzer ihre Texte noch mit mehreren einheimischen Testpersonen. Bei der Überprüfung mit Herrn Motero kamen sie zu Lukas 11,11: „Ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange geben würde, wenn er um einen Fisch bittet?“ Natürlich nicht – so würden wir, ähnlich wie die Juden zur Zeit Jesu, empfinden. Die Reaktion bei Herrn Motero war aber ganz anders: Er und seine Familie essen nämlich gerne Schlangenfleisch. Es wäre sogar etwas Besonderes, wenn er eine Schlange aus dem Urwald mitbringen und sie seinem Sohn zu essen geben würde. Diese Vorliebe für Schlangenfleisch macht diese Bibelstelle für die Barasano völlig missverständlich.

Die Übersetzer mussten also herausfinden, welches Tier die Barasano ihren Kindern niemals zu essen geben würden. Schließlich entschlossen sie sich, die Schlange durch einen Aal zu ersetzen, denn die Barasano verabscheuen Aale. Damit war der Sinn dieser Bibelstelle verständlich übersetzt.

Quelle: Wycliff.de

Sprachbarrieren sind also unbestritten lästig, aber ihre sorgfältige und respektvolle Überwindung ist auch gleichzeitig unendlich hilfreich, schwerwiegende Missverständnisse zu vermeiden. Das obige Beispiel beweisst es. Selbst wenn alle Menschen auf der Welt die gleiche Sprache (zum Beispiel Englisch) sprechen würden, hätte sich womöglich einem ganzen Volk ein völlig falsches Gottesbild eingeprägt. Und das nur, weil die Speisekarte variiert.

Wir sehen also: Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Sprachen ist nicht das Problem. Auch eine gemeinsame Sprache garantiert nicht das identische Verständnis der Worte und grantiert auch den Frieden nicht, wie uns die zahlreichen Bürgerkriege immer wieder vor Augen führen.

Es kommt vielmehr auf unser respektvolles Miteinander an – besonders denen gegenüber, die uns fremd sind. Und dabei dient eine Sprachbarriere als Warnzeichen: Hier ist eine andere Kultur. Hier spricht jemand eine andere Sprache – und nicht nur Worte und Grammatik unterscheiden sich, sondern auch das grundlegende Verständnis vieler Dinge. Bevor Missverständnisse auftauchen – klärt bitte dieses Verständnis ab.

Der Wunsch nach einer einheitlichen Sprache für alle Menschen bleibt also – so muss ich zugeben – schlicht unserer Faulheit gezollt. Unserer Faulheit, uns auf andere Menschen und ihre individuelle Kultur einzulassen. Am liebsten würden wir unsere Weisheit einfach auf allen (digitalen) Kanälen in die Welt pusten und unseren Auftrag der Verbreitung von Jesu Botschaft als erledigt ansehen. Wer nicht auf sie hört, will eben nicht.

Aber so einfach ist es halt nicht. Und das gilt übrigens für das Natur-Volk in Togo genauso wie für den Kietzbewohner in Hamburg, den ich mit meiner frommen Sprache ebenfalls kaum erreiche.

Und wenn man das so sieht, dann wirft das auch ein ganz neues Licht auf die Geschichte des Turmbaus zu Babel. Ich habe die Geschichte früher immer so gelesen, dass Gott die Menschen für ihren Hochmut strafen und ihre Macht begrenzen wollte.

Vielleicht aber (und das wiederum wirft ein neues Licht auf die Frage nach der Erhaltung  von unterschiedlichen Sprachen) wollte Gott die Menschen einfach vor sich selbst schützen…

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Kommentare

9 Kommentare auf "Sprachenvielfalt: Fluch oder Segen?"

  1. Peter says:

    Kommt eigentlich das Deutsche „babbeln“ auch von Babel? 🙂

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  2. Wolf Meineck says:

    Diese Ansicht ist aus dieser dargestellten Sicht durchaus nachvollziehbar. Trotzdem ist es kaum Faulheit, welche die Sprachbarrieren nicht überwindet. 6.500 Sprachen lernen, dass kann nur Gott, der eine einheitliche Sprache in unser Herz gelegt hat. Die Sprache der Liebe. Weil die aus dem Herzen spricht und keinen Mund benötigt. In der Praxis wäre aber eine einheitliche Sprache, zusätzlich zur Mutter- und Vatersprache, sehr nützlich. Wenn ein Gesetzestext in der EU, in italienisch vorgetragen, in schwedisch übersetzt wird und ein Pole das ins Deutsche bringt dann kommt das einem Holländer ziemlich spanisch vor. Eine Gebrauchsanweisung für einen Taschenrechner ist, in ca. 24 Sprachen übersetzt, dicker als das Gerät selbst und aber dadurch nicht gerade verständlicher: „Du nehmen Knopf und pickst Numero nach dem Strich und stellen dann Kochtopf auf Ofen …“!
    Logisch wäre, jede Landessprache bekommt den Status eines Dialekts und zusätzlich wird eine einheitliche Weltsprache, z.B. english why not, eingeführt. Esperando war ein guter Ansatz, aber aus bekannten Gründen hat sich diese Sprache nicht durchgesetzt. In meiner Jugend konnte ich in ziemlich vielen Sprachen je t ´aime sagen, aber wenn der Abend lang ist, dann ist das eine ziemlich eintönige Konversation, wenn man sonst nichts mehr sagen kann.

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  3. Dieter Callhoff says:

    Leider hat der Autor dieses Artikels nicht den Unterschied zwischen Sprachen und Dialekten verstanden. Die Vielfalt der Sprachen ist eine ungeheure kulturelle Bereicherung für die gesamte Menschheit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat man eine Kunstsprache geschaffen, das Esperanto. Dieses setzt sich aus Elementen aus verschiedenen indo-germanischen Sprachen zusammen, hat sich aber nie durchgesetzt, u.a. auch weil keine Kultur dahinter steht. Nach dem 2. Weltkrieg hat sich in großen Teilen der Welt Englisch als Verkehrssprache durchgesetzt. Um sich einigermassen verständlich machen zu können, kommt man praktisch ohne Grammatik aus und benötigt nur einen begrenzten Wortschatz von ca. 200 Wörtern. Persönlich finde ich es gut, daß es viele Sprachen gibt, denn ich bin Diplom-Dolmetscher und verdiene mit Sprachen mein Geld, :-). Abgesehen von den Sprachen, mit denen ich arbeite, und die ich beherrsche, habe ich Grundkenntnisse in diversen anderen Sprachen, sodass ich bei meinen zahlreichen Reisen immer gut klar komme.

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  4. ck10 says:

    Ich interessiere mich für Sprachen und überlege, da was beruflich zu machen. Aber ich habe den Gedanken, dass man dadurch, dass man andere Sprachen kann, gegen Gottes Tun in Babel handelt. In der Schule lernen viele Englisch; entsteht so nicht das, was Gott verhindern wollte?
    Für Missionare etc. ist es sicher nötig, andere Sprachen zu sprechen, aber für nichtreligöse Sachen?

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  5. Sue says:

    Sehr schöner und einleuchtender Artikel! Mir fällt dazu das „Sprachenwunder“ an Pfingsten ein, Apostelgeschichte 2,8: „Die Leute sind doch alle aus Galiläa, wie kommt es, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache reden hört?“ Hier war es also nicht so, dass alle plötzlich eine einzige Sprache verstehen, sondern die Vielfalt – jeder in seiner Muttersprache – ist erhalten.

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    • Wolfgang Schlender says:

      Im Gegensatz zu verwirren, werden zu Pfingsten Zungen (Sprachen) gesprochen, um einerseits Gott als den Geist zu verherrlichen, und andererseits das wunderbare, befreiend, rettende Evangelium verständlich für alle zuhörenden zu verkündigen.
      Da sieht man, dass bei Gott kein Ding unmöglich ist, auch nicht dass zum Schluss wieder „eine“ Sprache gesprochen wird.

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  6. Erik Aida says:

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    Grüß Gott Sue

    Das „Wunder der Sprache“ an Pfingsten wurde von allen Beteiligten geistig empfangen (auch von denen, die nicht körperlich anwesend waren).

    Der GEDANKE GOTTES spiegelte sich in jedem individuell denkenden, sprechenden und fühlenden Geist jeglicher Sprachen als EIN Gefühl wider. Deshalb konnten ES alle verstehen. ES hat kein Gegenteil. Diesem Gefühl liegt der GEDANKE GOTTES zugrunde.

    GOTT setzte SEINEN Gedanken vor alle toten, existierenden und noch entstehenden Sprachen, so dass ER in jeder Sprache EIN-deutig erkennbar und erfühlbar werden kann, noch bevor der Mensch überhaupt das Sprechen erlernte.

    Das Pfingstwunder geschah, um die Menschen im Geist zu einen. Das Gebabbel verstummt, wenn die Stimme GOTTES gehört wird.

    Alles Liebe
    Erik Aida
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