Woran ist der verlorene Sohn eigentlich schuldig geworden?

Vor einiger Zeit hatte ich einen Artikel über den verlorenen Sohn geschrieben, den ich diese Woche als Grundlage für einen Impuls in der Presbyteriumssitzung verwendete. In der Diskussion erwähnte jemand, dass der Sohn ja nicht das Vermögen des Vaters verprasst hatte. Da merkte ich, dass ich das Gleichnis Zeit meines Lebens falsch gelesen hatte.

Der Sohn muss zu Kreuze kriechen und der Vater vergibt ihm – grob zusammengefasst war das für mich die Story aus Lukas 15.  Ganz automatisch war ich immer davon ausgegangen, dass der Sohn etwas Böses getan hatte. Dass er das Geld des Vaters durchgebracht und damit den Vater völlig enttäuscht hatte. Dass er sich im Grunde des Diebstahls oder wenigstens der Veruntreuung schuldig gemacht hatte.

Konsequenterweise hatte ich in meinem Artikel auch vier verschiedene mögliche Szenarien beschrieben, in denen immer die Schuld im Mittelpunkt stand, die beseitigt, abgearbeitet oder vergeben werden muss.  In diesem Licht habe ich immer das ganze Gleichnis gelesen und verstanden. Da in den Kommentaren zum Artikel keiner daran Anstoß genommen hat vermute ich, dass es vielen so geht.

War der verlorene Sohn in Sünde gefallen und dann zum Vater zurückgekehrt, weil ihn sein schlechtes Gewissen plagte? Weil er ahnte, dass er etwas falsch gemacht hatte? Und hat der Vater ihm dann seine Schuld freimütig vergeben? Ist das die Moral der Geschichte?

Versagen

Wenn man die Erzählung Jesu einmal versucht, ganz frisch zu lesen, ohne die über viele Jahre eingeprägten Bilder und Deutungen im Kopf, dann muss man feststellen: Der Vater hat seinen Sohn ausgezahlt und was der anschließend verprasst hat war nichts anderes sein eigenes Vermögen. Ja, das war sicher nicht klug und ja, er hat mit seinem Verhalten wohl Mist gebaut – denn für die über das Land hereinbrechende Hungersnot war er nicht gerüstet.  Aber hatte er etwas unrechtmäßiges getan? Hat er den Vater bestohlen?  Hat er gegen ein Gesetz verstoßen? Nein. Nicht einmal einen Auftrag vom Vater hatte er, dem er untreu geworden wäre. Er hat einfach nur das Leben in vollen Zügen genossen, ohne vorzusorgen, ohne an Morgen zu denken. Aber Schuld? Selbst die Huren, mit denen er angeblich sein Geld durchgebracht hat, entpuppen sich bei genauem Hinsehen lediglich als wilde Vermutung des älteren Bruders. Der junge Sohn war einfach ein Lebemann.

Die Schlagworte aber bleiben bei uns hängen und erzeugen schnell das Bild des „sündigen“ Jünglings, der in zwielichtigen Etablissements ein und ausgeht. Das Wort „sündigen“, das leider in allen Übersetzungen verwendet wird, führt uns hier aber auf die falsche Fährte. Das griechische Wort ἥμαρτον entspricht zwar tatsächlich dem, was wir mit „sündigen“ übersetzen, bedeutet aber zunächst einmal so etwas wie „Ich habe versagt“, „Ich bin den Erwartungen nicht gerecht geworden“ oder „Ich habe das Ziel verfehlt“. Und das trift es hier besser, weil es hier nicht um Moral geht, etwas, das wir sehr schnell mit „Sünde“ verknüpfen. Der junge Sohn hat Mist gebaut, keine Frage – und so sehr, dass er sich nicht mehr würdig glaubt, weiterhin als Sohn seines Vaters zu gelten. Was er spürt ist das Versagen, mit seinem neu gewonnenen Reichtum weise umzugehen – so wie es der Vater wohl von ihm erwartet hätte. So wie es die Gesellschaft erwartet hätte. Er war ein lausiger Verwalter seines eigenen Lebens.

Dem Vater aber oder irgendwem sonst gegenüber ist er mit seinem Versagen nicht schuldig geworden. Er hat kein Gesetz gebrochen und er hat niemandem etwas weggenommen. Er hat sich einfach nur selbst in Armut und Verzweiflung manövriert. Dementsprechend muss der verlorene Sohn aber auch weder Schuld abarbeiten noch muss ihm vergeben werden. In dem ganzen Gleichnis geht es überhaupt nicht um Schuld. Es geht um etwas ganz anderes: Um Liebe und Gerechtigkeit.

Warum der Sohn nämlich zurückkehrt ist nicht ein schlechtes Gewissen oder ein geläutertes Herz, sondern die blanke Not. Er hat kein Geld mehr, er muss die Schweine hüten und er bekommt nicht einmal ein paar der Schoten, die an die Schweine verfüttert werden. Denn für den neuen Herrn, dem er sich selbst versklavt hat, sind die Schweine wertvoller als der junge Schweinehüter. Die Schweine bringen wenigstens noch Geld. Der Schweinehüter dagegen ist austauschbar. So weit ist er gesunken.

Da – und erst da – denkt der gescheiterte Weltenbummler daran, nach Hause zurückzukehren. Als Sohn hat er keine Ansprüche mehr auf Kost und Logis, dessen ist er sich sicher. Sein Erbe hatte er bereits bekommen – würde der Vater ihn wieder als Sohn aufnehmen, so würde er erneut vom Erbe zehren. Er würde vom Erbteil des Bruders zehren. Es wäre ungerecht und undenkbar. Dass sein Vater ihm Liebe entgegenbringen könnte, die sich über diese vordergründige, materielle Gerechtigkeit erhebt und Dinge möglich macht, die menschliche Konventionen nie zulassen würden, das ist seinem Denken fremd.

Pläne

So schmiedet er Pläne. Er möchte den Vater um Hilfe bitten und sich dessen  Hilfe verdienen. Er plant, für Kost und Logis im heimatlichen Hof zu arbeiten. „Vater, ich habe versagt vor dem Himmel und vor dir“, so legt er sich seine Worte zurecht. „Ich bin es nicht wert, dass ich dein Sohn heiße, mach mich zu einem deiner Tagelöhner.“ Er wiederholt die Worte wahrscheinlich immer wieder auf seinem Weg nach Hause, spricht sie vor sich hin, schleift an der Wortwahl, malt sich aus, wie der Vater wohl reagiert. Er ahnt, dass der Vater sofort weiß, was los ist, wenn er ihn in diesen schmutzigen Kleidern sieht. Ist er zornig? Fassungslos? Wird er ihn sich erklären lassen? Was soll er überhaupt erklären? Ist das zu erklären? Solche Dummheit? Will sein Vater so einen Taugenichts wie ihn überhaupt als Arbeiter haben? Wahrscheinlich muss er auch dort die Schweine hüten. Aber der Vater hat seine Arbeiter immer gut behandelt – dort wird es ihm wenigstens besser…

Und dann sieht er auf einmal seinen Vater.

Von Weitem sieht er ihn vor dem Eingang des Hauses stehen. Der Vater blickt in seine Richtung, hält sich die Hand über die Stirn, als ob er genauer hinsehen will. Sein Vater will ihn genauer sehen! Will wissen, ob das tatsächlich sein Sohn ist, der da in Lumpen  in der brütenden Hitze den Weg entlang gestolpert kommt. Jemand ruft und zeigt in seine Richtung. Ein Tumult erhebt sich, plötzlich kommen noch mehr Leute zum Haus gelaufen. Eine Gestalt löst sich aus der Gruppe und rennt. Sie rennt auf ihn zu! Der Vater! Mit weit offenen Armen rennt der Vater auf ihn zu, auf seinen ehemaligen Sohn. Seinen Sohn. Ihm sacken die Knie zusammen. Als ihn der Vater erreicht, reißt er ihn hoch, schlingt die Arme um ihn und küsst ihn immer wieder. Der junge Sohn weiß nicht, wie ihm geschieht. Er sieht dem Vater scheu in die Augen, senkt den Blick sofort und versucht, den einstudierten Satz zu sagen: „Vater, ich habe versagt vor dem Himmel und vor dir, ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein…“

Doch der Vater hört ihm nicht zu! Er will ihm nicht zuhören! Er will davon nichts wissen.

Stattdessen ruft er seinen Dienern zu: Bringt die beste Kleidung, neue Schuhe und einen Ring! Schlachtet das gemästete Kalb und lasst uns feiern…! Der Sohn steht mit offenem Mund da. Jetzt ist er fassungslos. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Des Vaters Liebe setzt sich über alle Konventionen hinweg. Über alles, was gesellschaftlich geboten war. Über alles, was Recht war.

Liebe und Neid

Das allerdings sieht auch sein älterer Bruder so. Bei allem was recht ist… Er ist es doch, der treu gewesen war, der nie dem Vater widersprochen hatte, der sich immer penibel an dessen Weisungen gehalten hatte.  Er ist es, der ein Fest verdient hätte. Warum ist der Vater so ungerecht und überschüttet den Taugenichts, der sein Vermögen verprasst hatte, mit Jubel und Ehre? Der Taugenichts, der seinen Anteil gehabt und verspielt hatte und nun wieder auf Kosten des Vaters – und letztendlich auf Kosten des großen Bruders – isst und trinkt und feiert?

Das Gleichnis, das Jesus da erzählt, hat in der Tat nichts mit Schuld zu tun. Es erzählt vielmehr von einer großen Liebe, einer Liebe, die jenseits dessen agiert, was sich gehört und was (ge)recht wäre. Die alle gleich behandelt, umarmt und mit Gutem überschüttet, auch wenn sie es gar nicht verdienen. Einer Liebe, die sich über Leistungsdenken und Gehorsamkeit erhebt.

Und es erzählt die Geschichte von Verbitterung, Eifersucht und Neid. Dass der Bruder sauer ist, können wir verstehen, denn was der Vater tut widerspricht unserer Vorstellung von Gerechtigkeit. Wer es vergeigt hat, kann doch nicht einfach wieder bei Null anfangen! Wo bleibt denn da die Strafe, die Konsequenz, die Wiedergutmachung? Wenn das jeder so täte…! Und ich als der, der immer brav war, komme dabei mal wieder zu kurz…

Es ist typisch menschliches Defizitdenken, dass wir nicht das viele Gute sehen, das wir selbst haben, sondern stattdessen neidisch sind auf das, wo es anderen (vermeintlich) besser geht. Gott erliegt – Gott sei dank – dieser Versuchung nicht. Und Jesus möchte den Pharisäern, die sich über Jesu Umgang mit dem Abschaum der Gesellschaft ärgerten, mit dieser Geschichte genau diesen Wesenszug Gottes aufzeigen. Gott liebt die Versager genauso wie die vorbildlichen Frommen. Und sie sollen sich nicht ärgern, wenn Gott diese trotz ihres Versagens als seine Kinder aufnimmt – immer und immer wieder. Denn Gottes Gerechtigkeit ist nicht gerecht. Nicht in einem menschlichen Sinne. Nur in einem göttlichen.

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Kommentare

16 Kommentare auf "Woran ist der verlorene Sohn eigentlich schuldig geworden?"

  1. FlyingSoul says:

    Hallo,

    „In der Diskussion erwähnte jemand, dass der Sohn ja nicht das Vermögen des Vaters verprasst hatte. Da merkte ich, dass ich das Gleichnis Zeit meines Lebens falsch gelesen hatte.“

    und:

    „Der Sohn muss zu Kreuze kriechen und der Vater vergibt ihm – grob zusammengefasst war das für mich die Story aus Lukas 15. Ganz automatisch war ich immer davon ausgegangen, dass der Sohn etwas Böses getan hatte. Dass er das Geld des Vaters durchgebracht und damit den Vater völlig enttäuscht hatte. Dass er sich im Grunde des Diebstahls oder wenigstens der Veruntreuung schuldig gemacht hatte.“

    schreibst du. Ganz automatisch – ja, automatisch, weil ein jeder von uns innerhalb eines bestimmten (!!!) Glaubenssystems aufwächst und damit allzu oft auch die dort geltenden Interpretationen von Bibelstellen übernimmt.
    Gerade dieses Gleichnis ist ein Paradebeispiel dafür, wie die vorangehende gemeindlich überlieferte Theologie dafür sorgt, dass man Bibelstellen mit dieser (von der Gemeinde) bestimmten Brille liest.

    Irgendwann zu merken, dass man da etwas falsch gelesen hat (wo man doch immer glaubte, man müsse einfach nur lesen, was da steht), ist ein Schritt der religiösen Emanzipation weg von der gemeindlichen Theologie hin zu einem direkten und mehr und mehr unverstellten direkten Gespräch mit Gott, zu einer also emanzipierten, unvermittelten und damit selbst verantworteten Theologie. So wird man wirklich religiös mündig. Das macht zwar bisweilen einsam, sehr oft auch anfechtbar, aber eben auch frei in und reif für Christus.

    Es gibt so viele Bibelstellen, die durch zwar wohl meinende, aber doch voreingenommene gemeindliche Theologie eine ungute Schlagseite bekommen haben. ICh muss da z.B. an den angeblich ungläubigen Thomas denken, wie er von vielen Christen genannt wird und den Konsequenzen, die dann daraus für das eigene Glaubensleben gezogen werden. Dabei steht in der Bibel nur etwas von einem zweifelnden Thomas, der nicht einfach das glauben konnte, was ihm seine Weggefährten mitteilten.

    „Das Gleichnis, das Jesus da erzählt, hat in der Tat nichts mit Schuld zu tun. Es erzählt vielmehr von einer großen Liebe, einer Liebe, die jenseits dessen agiert, was sich gehört und was (ge)recht wäre. Die alle gleich behandelt, umarmt und mit Gutem überschüttet, auch wenn sie es gar nicht verdienen. Einer Liebe, die sich über Leistungsdenken und Gehorsamkeit erhebt.“

    ganz meiner Meinung! Eine großartige Liebe, die über jedes menschliche Vorstellungsvermögen hinaus geht! Eine Liebe, die zwar nach menschlichen Maßstäben ungerecht ist, aber dafür sorgt, dass unsere Welt mittels solcher Liebe hoffentlich irgendwann wieder in die (ge)rechte Ordnung kommt, die Gott ursprünglich geschaffen hat.

    Ganz herzliche, freudige Grüße

    Angelika

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  2. Der Insider says:

    „Wenn das jeder so täte!“
    Vielleicht wären wir dann schon ein paar Schritte weiter auf dem Weg der Versöhnung…

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  3. shasta-cor says:

    Ich habe letztens aehnliches gehoert, und zwar dass es selbst heute noch auf dem Land ueblich ist, das Erbe fruehzeitig auszuzahlen um das Land vor Zerstueckelung zu schuetzen, damit die Familie immer noch davon leben kann.
    Also deshalb Zustimmung er hat nicht gesuendigt „nur“ versagt. Ein wichtiger Unterschied. Aber ich denke es ist auch zu einfach den aelteren Sohn zu verurteilen. Der Vater tut es ja auch nicht, sondern wirbt um Verstaendnis. Ich selber kenne das Verhalten des Bruders aus eigenem aehnlichem Erleben. Es ist schwer diesem Denken des Neids etc zu entfliehen. Aber ist die Frage wirklich so boese? Spannend ist dass Gleichnis genau beim werbenden Vater aufhoert. Wie wird sich der grollende Bruder entscheiden? Open end.

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    • luce says:

      Das einzige Problem ist, dass es damals nicht üblich war, sich sein Erbe frühzeitig auszahlen zu lassen.
      Es kam eher einem Todeswunsch gleich weil man praktisch sagt, dass einem das Erbe wichtiger ist wie der Vater und auch die Beziehung zu ihm. Aber ich glaube auch, dass es vollkommen egal ist, ob er gesündigt hat oder nicht weil die Geschichte eigentlich an die älteren Brüder gerichtet ist. Also an die Pharisäer und Schriftgelehrten (Lk 15,1+2). Und dieses Gleichnis ist so aktuell wie nie weil unsere Kirchen gut besucht sind von den älteren Brüdern die aufgrund ihrer Lebensweise eine gewisse Zuwendung erwarten und anderen nicht viel gönnen.

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  4. Tertullian says:

    Grundsätzlich ist das richtig beobachtet: Der Sohn hat nicht fremdes Vermögen vergeudet, sondern sein eigenes. In sofern hat er vordergründig nicht gegen den Buchstaben des jüdischen Gesetzes verstoßen, da es kein Sparsamkeitsgebot gibt. Man könnte allerdings anachronistisch einwerfen, dass er gegen das deutsche Grundgesetz („Eigentum verpflichtet“) verstoßen hat, damit befindet er sich freilich in bester Gesellschaft. Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass eben dieser GG-Paragraph auch dem Geist der Bibel entspricht. Dazu kommt noch, was freilich nicht der Inhalt des Artikels ist, die Wirkung, die der Job des Schweinehütens auf die jüdischen Zuhörer von Jesus entfaltet hat. Inwieweit Juden überhaupt Umgang mit Schweinen haben durften ist mir nicht ganz klar. Jedenfalls durften sie ihr Fleisch nicht essen. Insofern vielleicht doch ein Thora-Verstoß. Jedenfalls wird deutlich, dass der verlorene Sohn vielleicht kein besonders schwerwiegender Sünder ist, aber eben doch ein Sünder wie du und ich, der Vergebung benötigt, während der ältere Sohn zu denjenigen gehört, die sie anscheinend nicht nötig haben. Was Jesus davon wiederum hält dürfte einschlägig bekannt sein.

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  5. Christian says:

    Lieber Rolf,

    Wenn du so argumentierst, handeln die beiden vorherigen Gleichnisse ebenfalls nicht von Sünde, Schuld und Sündern, denn weder ein verirrtes Schaf noch einen verlorenen Groschen kann man einer Sünde im Sinne der Torah bezichtigen. Und dennoch interpretiert Jesus selbst beide einhellig auf Sünde und Buße bezogen.

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    • FlyingSoul says:

      Hallo,

      ich bin gerade dabei rund um dieses Gleichnis bei Lukas zu lesen und musste eben schmunzeln. Denn das nachfolgende Gleichnis scheint mir Rolfs Interpretation noch auf die Spitze zu treiben.
      Da lesen wir nämlich von einem Verwalter, der beschuldigt wurde, das ihm anvertraute Vermögen zu verschleudern. Er soll seinem Herrn Rechenschaft über seine Verwaltung ablegen. Was tut nun der Verwalter? Er gesteht sich selbst ein, dass er zu schwerer Arbeit nicht tauge und sich schäme zu betteln. Also beschließt er einen teilweisen Schuldenerlass, um sich bei seinen Schuldnern beliebt zu sein, wenn er als Verwalter abgesetzt wäre. Kurzerhand erlässt er dem einen von hundert Faß schuldigen Öls die Hälfte, einem anderen von hundert Sack Weizen zwanzig Sack. Das triebt ja wohl in unseren menschlichen Augen die Untauglichkeit des Verwalters auf die Spitze: Er verschleudert aus Eigennutz das eigentlich seinem Herrn gehörende Eigentum.
      Aber was tut der Herr?
      In der Einheitsübersetzung heißt es wörtlich „der Herr lobte die Klugheit des unehrlichen Verwalters. Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts“
      Von Entlassung ist keine Rede mehr.

      Worum nun geht es bei diesem Gleichnis? Was ist die Klugheit des Verwalters?

      Die Klugheit des Verwalters ist, dass er sich gegenüber den Schuldnern so verhält, dass er seine Ziele durchsetzen kann. Deshalb gibt er sich den Schuldnern gegenüber barmherzig verhält.

      Was könnte uns dieses Gleichnis über Gott aussagen?
      Es könnte uns sagen, dass Gott womöglich selbst auch Barmherzigkeit dort übt, wo es nach unseren Maßstäben ungerecht und unehrlich (und damit unmöglich) ist, um sein Ziel zu erreichen.

      Und was ist das Ziel Gottes?

      Ich weiß, dass solche Interpretation in den Ohren mancher Christen geradezu unerhört klingen wird, bitte aber dennoch darum, sich dieses merk- und denkwürdige Gleichnis nochmals ganz genau anzusehen.

      einen gnadenvollen Sonntag wünscht

      FlyingSoul

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      • Christian says:

        Aber nicht Jesus lobt den korrupten Haushälter, sondern dessen „Herr“, der, von ihm betrogen wird. Die ganze Transaktion ist eine win-win-Situation unter korrupten „Kindern dieser Welt“. Jesus zieht das Fazit, dass die Kinder des Lichts anders handeln sollen, wie es in Vers 13, heißt: „Kein Knecht kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott samt dem Mammon dienen.“

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        • FlyingSoul says:

          Hallo Christian,

          hier versuchst du dich mit einer mMn unzuässigen Textglättung, um deine bestimmte gemeindliche Theologie beibehalten zu können.

          Das Gleichnis vom klugen Verwalter endet mit Vers 8. Dem folgt ein neuer Textabschnitt. Das darf man nicht einfach übergehen. Zudem scheint es mir ein interpretatorischer Kunstgriff zu sein, wenn du sagst, dass nicht Jesus den korrupten Haushälter lobt, sondern dessen „Herr“. (Wenn du das tust, dann müsstest du das konsequenterweise wohl auch bei anderen Gleichnissen so halten.)
          Jesus redet hier in einem Gleichnis, das muss bei der Interpretation berücksichtigt werden. Die entscheidende Frage lautet „Was ist das tertium comparationis? Was ist der Vergleichspunkt?“

          Doch selbst wenn ich so vorgehe wie du und die nachfolgenden Verse in Bezug auf das Gleichnis vom klugen Verwalter setze, dann komme ich nicht daran vorbei, dass Jesus direkt in Vers 9, also direkt im Anschluss an das Gleichnis sagt „Macht euch Freunde mit Hilfe des ungerechten Mammons, damit ihr in die ewigen Wohnungen aufgenommen werdet, wenn es (mit euch) zu Ende geht“.
          Damit bestätigt dann Jesus wohl doch das Verhalten dieses Verwalters als zielführend. Denn dieser Verwalter sah sein Ende (als Verwalter) kommen und zeigte sich gegenüber den Schuldnern seines Herrn großzügig. Er zeigte sich großzügig, indem er mit dem Mammon(Geld) des Herrn Freunde machte. Es mag zwar in unseren Augen als unmöglich erscheinen, das Evangelium scheint es jedoch in Ordnung zu finden.

          Meines Erachtens ist diese ganze Bibelstelle, einschließlich der von dir mit einbezogenen Verse, pure Provokation für uns:
          1) Geld/Mammon wird schichtweg per se als ungerechtet bezeichnet.
          2) Der Begriff der Zuverlässigkeit wird in unseren Augen pervertiert. Denn Zuverlässigkeit ist gegenüber Gott einzuhalten, sprich all unser Tun soll zielgerichtet sein, soll auf Gott ausgerichtet sein.

          Was also ist ein zuverlässiger „Umgang mit dem ungerechten Reichtum“?

          Ich stelle aufgrund des Textbefundes die zugegebenermaßen provokante These auf, dass nach biblischen Maßstäben ein zuverlässiger Umgang mit dem ungerechten Reichtum der Umgang ist, der anderen Menschen Schulden erlässt.
          Schuldenerlass wird schon im AT gefordert, alle sieben Jahre solle es nach göttlichem Willen ein Erlassjahr geben (Dtn 15). Mit dem Erlass von Schulden wird dem Ziel Gottes, nämlich der Wiederherstellung der gerechten und ursprünglichen Ordnung der Welt gedient.
          Damit ist mMn klar ausgesagt, dass der Verwalter als „Kind dieser Welt“ zuletzt ktatsächlich klüger war und mehr vom Willen Gottes getan hat als die „Kinder des Lichts“ es tun. Diese scheinen wohl eher noch ausgedienten Begrifflichkeiten von Gerechtigkeit und Zuverlässigkeit anzuhängen.

          Weiters heißt es bei Lukas:

          „Das alles hörten auch die Pharisäer, die sehr am Geld hingen, und lachten über ihn. Da sagte er zu ihnen: Ihr redet den Leuten ein, dass ihr gerecht seid, aber Gott kennt euer Herz. Denn was die Menschen für großartig halten, das ist in den Augen Gottes ein Greuel.“

          Hmmmm…werden die Pharisäer wohl den Schuldenerlass, den der Verwalter aus dem Gleichnis vornahm, großartig gehalten haben?

          Es geht Jesus immer darum, wie wir uns gegenüber Schwächeren, Ärmeren verhalten. Er stand immer auf der Seite der Schwächeren, Armen. Wer ist denn in dem Gleichnis der Schwache, Arme? Doch weder der Verwalter, noch der Herr, sondern die Schuldner.
          Der Umgang mit ungerechtem Reichtum (und Schuldnergeschäfte führen allzu oft zu Bereicherung, dazu, dass Reiche noch reicher und Arme noch ärmer werden) ist Maßstab unserer Zuverlässigkeit gegenüber Gott.

          Herzliche Grüße

          Angelika (FlyingSoul)

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          • Christian says:

            Angelika, nehmen wir an („for argument’s sake“), du hast Recht und der „Herr“ steht für Gott und Gott lobt somit den untreuen Verwalter, so lobt er ja dennoch nicht seine Untreue, sondern nur seine Schlauheit. Die Kinder der Welt sind häufig schlauer im Umsetzen ihrer Interessen als die Kinder des Lichts im Umsetzen der ihrigen.

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    • Rolf Krüger says:

      Klar. Es geht ja auch um die „Sünder“, über die sich die Pharisäer beschweren. (Zu denen sie sich selbst natürlich nicht zählen und der Erzähler übrigens auch nicht. Das ist bereits ein rhetorischer Kniff von Lukas, der auf das Ende vorbereitet.)

      Interessant sind ja weniger die Gemeinsamkeiten der drei Geschichten, sondern vor allem die Unterschiede. Die ersten beiden Storys gehen über etwas, was verloren ist, das jemand sucht und das wiedergefunden wird. Damit meint Jesus, wie er explizit erklärt, zwei Parteien: die „Sünder“ und den „Himmel“, also Gott.

      Die letzte Geschichte unterscheidet sich vom Aufbau stark. Erstmals ist es ein Mensch, der verloren geht. Und Jesus erzählt sehr ausführlich, wie dieser Mensch verloren geht (das ignoriert er in den ersten beiden Storys gänzlich). Der wichtigste Unterschied: Nicht der Vater sucht, sondern der Sohn dreht von selbst um!

      Und dann gibt es da eine weitere Partei, nämlich den großen Bruder, der sich über den „Sünder“ beschwert (sic!), vor allem aber über die Liebe des Vaters. Mit dem großen Bruder meint Jesus ziemlich sicher die Pharisäer.

      Die Geschichte bildet den Höhepunkt der drei Erzählungen. Nach den ersten beiden würde man eigentlich erwarten, dass der Vater den Sohn sucht – das bleibt aber aus. Der Sohn kommt von alleine zurück. Aber plötzlich ist da einer, der nicht von selbst zurück kommt – der große Bruder nämlich. Er weigert sich, aus Eifersucht gegenüber seinem Bruder, den er als Abschaum sieht. Und jetzt kommt der Knaller: Der Vater geht hinaus und sucht den großen Bruder (auf)! Jesus dreht in einem genialen Cup die Rollen um und führt den Pharisäern vor Augen: Ihr seid diejenigen, die sich weigern, gefunden zu werden!

      Das ist auch der Grund, warum das Gleichnis so offen endet. Das Ende ist im Grunde eine Frage an die Pharisäer: Die „Sünder“ sind schon umgekehrt, sie hören mir zu, sie folgen mir nach. Über sie freue ich mich. Ihr aber steht daneben und mault, dass ich mich ihnen zuwende. Damit schließt ihr euch selbst von der Feier aus. Und die Feier – das werden die Pharisäer verstanden haben – meint den Himmel. Und, fragt Jesus, wollt ihr euch weiterhin weigern, euch mitzufreuen über die umgekehrten „Sünder“?

      Antworten
  6. Christian says:

    Rolf, du magst es glauben oder nicht: Deine Interpretation ist im Großen und Ganzen in allen mir bekannten Auslegungen allgemeiner Konsens. Einziges, für dich irgendwie bedeutendes Alleinstellungsmerkmal: die permanenten Gänsefüßchen um das Wort Sünder. 😉

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    • Rolf Krüger says:

      Schön. Stimmst du dann allen dir bekannten Auslegungen zu? Falls ja, verstehe ich nicht, weshalb du oben dann betonst, dass man die drei Gleichnisse parallel interpretieren muss.

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      • Christian says:

        Ganz einfach: In allen dreien geht es um die himmlische Freude über verlorene Sünder, die umkehren.

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        • Christian says:

          Das ist fraglos richtig. Aber auch dieser Aspekt ist Konsens. Ich höre und lese ihn seit meiner Bekehrung vor nunmehr über 41 Jahren.
          Die Empörung des Älteren erinnert aber doch auch stark an Petrus‘ Reaktion auf die Vision vom unreinen Getier („in ceterum censeo“ 😉 ). Und Petrus war kein Pharisäer, sondern Fischer. Er war einfach Jude, und für Juden war es im allgemeinen etwas Unerhörtes, dass in irgendwelchen fernen Schweineställen noch verlorene Kinder desselben Vaters dahinvegetierten, die so mir nichts dir nichts bei ihrer Rückkehr ihre vollen Kindesrechte wieder bekommen.
          Das musste ihnen erstmal schonend beigebracht werden.

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  7. Alexander Hirsch says:

    80% Zustimmung.
    Aber „Dem Vater aber oder irgendwem sonst gegenüber ist er mit seinem Versagen nicht schuldig geworden“? Dazu empfehle ich zur Lektüre: „Der ganz andere Vater“, von Kenneth Bailey, der Lk 15 stark im Kontext nahöstlicher Kultur deutet.
    Danach ist es gerade unerhört, dass ein Sohn sich vor dem Tod des Vaters das Erbe auszahlen lässt – da er damit quasi seinen Vater für tot erklärt und die Beziehung mit dem Familienoberhaupt bricht.
    Dazu kommt, dass das Erbe ja nicht auf dem Girokonto lag und einfach abgehoben werden konnte, sondern in Grund und Boden und Vieh bestand, was der jüngere Sohn erst versilbert und dann verjubelt (mit wem oder was auch immer).
    Das passt dazu, dass „Sünde“ in der Bibel nicht in erster Linie eine moralische Kategorie ist, sondern ein Beziehungsbegriff: Vertrauen ist zerstört, Beziehung ist zerstört. Und das gilt für beide Söhne.
    Worum geht es in Lukas 15? „Jesus nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“ – der Ärger der „älteren Brüder“ wird kontrastiert mit der Freude des Vaters über den Wiedergefundenen (in allen drei Gleichnissen), wie du auch schreibst.
    Auf die Frage, warum im 3. Gleichnis niemand sucht, schlägt Tim Keller eine interessante Antwort vor: Wer hätte denn suchen sollen? Wer fehlt in der Geschichte? Die Suche nach dem Verlorenen wäre hier Aufgabe des Erstgeborenen gewesen. Aber der verweigert sich. Das führt Jesus den „Erstgeborenen“ seiner Zeit und aller Zeiten vor Augen.
    Jesus, der wahre ältere Bruder, der sich tatsächlich auf den Weg gemacht hat, zu suchen, was verloren ist. Gott sei Dank!

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