Not und Privileg

Wir haben diese Woche unseren Gemeindehaushalt verabschiedet – 300 und ein paar zerquetschte Tausend – etwas weniger als letztes Jahr. Ausgeglichen, natürlich. Wir leisten uns ein großes Haus und neben dem Pastor noch einen Diakon, einen Hausmeister, einen Küster, eine Küchenkraft, Reinigungsleute, eine Pädagogin. Nicht alle zu 100%, aber immerhin.

Rob Bell und Don Golden schlagen in ihrem Buch „Jesus will die Christen retten – Ein Manifest für eine Kirche im Exil“  einen spannenden historischen Bogen vom Anfang der Bibel über die Geschichte Israels bis hin zu Jesus und zeigen viele heilsgeschichtliche Querverbindungen, die uns überhaupt nicht mehr bewusst sind. Weil wir die Kultur nicht kennen. Weil das alte Ägypten und Babylonien so weit weg sind.

Eine Stelle hat mich beim Lesen besonders berührt: Wir leben hier in Deutschland (und in den Industrieländern allgemein) in einer sehr privilegierten Situation. Nachdem wir uns ein Dach über dem Kopf gebaut, etwas zum Anziehen und zu Essen gekauft, dazu ein Auto, zwei Fernseher und drei Handys angeschafft haben, bleibt uns immer noch etwas übrig, um es der Gemeinde zu geben. Oder es wird uns als Kirchensteuer abgezogen, aber das kommt aufs Gleiche raus).  Klar – nicht jeder bei  uns kommt mit seinem Geld wirklich hin, aber im gros der Gesellschaft haben wir so viel Geld, dass die Gemeinden Überfluss haben und sie es in Gebäude und Menschen stecken können, die sich mit all ihrer Zeit ganz bewusst um eine Zielgruppe kümmern. Welch Segen. Welch Luxus.

Global gesehen ist das extrem privilegiert. In vielen christlichen Gemeinden auf der Erde herrscht eine solche Armut, dass alles Geld sofort in die Linderung der akuten Not vor Ort gesteckt werden muss: Da sind Menschen schwer krank, da sind Menschen obdachlos, da verrecken Kinder qualvoll an Hunger – und die Christen helfen, wo sie können, mit dem, was sie haben. Das Geld in Luxus zu stecken wäre für diese Gemeinden falsch – sie würden Schuld auf sich laden, wenn sie nicht mit all ihrer Kraft und all ihren finanziellen Möglichkeiten darum kämpfen würden, die Not um sie herum zu lindern.

Einverstanden? Und für uns? Für uns gilt das nicht? Weil die Not in Afrika so weit weg ist? Und die Not in Bottrop auch?

Wir sagen immer, dass wir Geld für Gebäude und Personal brauchen. Aber wie erklären wir das dem Kind im Sudan, dass zuletzt vor drei Tagen etwas gegessen hat? Hirse mit Dreckwasser? Wenn wir wirklich überzeugt sind, wir brauchen 300.000€ im Jahr für den Gemeindebetrieb (und es sprechen viele Gründe dafür), wie setzen wir das Geld dann so ein, dass wir uns nicht schuldig machen an der Not hier und „woanders“. An der Verzweiflung von Menschen in Haiti… oder wenigstens der um die Ecke?

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Kommentare

4 Kommentare auf "Not und Privileg"

  1. shasta-cor says:

    Wenn wir wirklich überzeugt sind, wir brauchen 300.000€ im Jahr für den Gemeindebetrieb (und es sprechen viele Gründe dafür), wie setzen wir das Geld dann so ein, dass wir uns nicht schuldig machen an der Not hier und “woanders”. An der Verzweiflung von Menschen in Haiti… oder wenigstens der um die Ecke?

    …und, wenn ja: WIE helfen wir? so daß es in die Kultur passt, zur Eigenverantwortun ermutigt / ermöglicht oder so, daß neue Abhängigkeiten geschaffen werden bzw. gute kulturelle Infrastruktur zersört wird!?

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  2. Wolfram says:

    Meine zwei Gemeinden haben ein Jahresbudget von 35000 bzw. 45000 Euro, rundum aus Spenden finanziert. Ja, es gibt viele Leute, die mal eben einen großen Scheck ausstellen können, ohne daß es ihnen auch nur irgendwie wehtäte. Und es gibt viele Leute, die sich von der kleinen Rente auch noch ein paar Euro abknapsen, damit die Kirche weiter existiert.
    Die Hälfte der Ausgaben gehen an die Union Nationale, die die Pastoren ausbildet und besoldet, vom Rest wird tatsächlich eine große Menge für den Gebäudeunterhalt und die Heizung ausgegeben. Luxus… verglichen mit Afrika. Bescheidenheit, verglichen mit Deutschland und einigen Schweizer Kantonen.
    Helfen tun wir, wo es geht, vor Ort. Da gibt es für die bescheidenen (nicht nur finanziellen) Möglichkeiten, die wir haben, genug Aufgaben, genug Arme, die ihre Kinder nicht ohne Hilfe über den Monat bringen können. Entwicklungshilfe geben andere…
    aber bei uns im Kirchenkreis ist ein Pastor aus Afrika als Missionar tätig. Er gibt gewissermaßen uns Entwicklungshilfe geistlicher Natur.

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  3. Jürgen says:

    Du hast so recht – deshalb ist es mir wichtig, den Teufelskreis (!) der Selbstbezogenheit („wir brauchen aber….“) durch ganz bewusstes Weggeben zu durchbrechen. Mammon, ick hör dir trapsen.

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